Symbiose mit dem digitalen Medium

Zur Besonderheit der Zusammenarbeit von Tänzer und Programmierer

von Daniel Berwanger, kollaborierender Künstler von SHADOWING und ONE THREE TWO (133)

Anfang August 2009 traf ich mich zum ersten Mal mit Pipo Tafel. Pipo besuchte mich in meinem Atelier in Berlin. Ich wusste damals nichts über ihn, er nichts über mich. Ein gemeinsamer Bekannter, der meine Arbeit Romori (als Arbeitsprobe angefügt) kannte, gab ihm den Tipp sich mit mir in Verbindung zu setzen. Pipo erzählte mir von seinem Konzeptpapier „The box of Peter Pan“ (Arbeitsprobe), was er sich wünschte in naher Zukunft umzusetzen. Damit verbunden sein zähes Suchen nach einem Programmierer, mit dessen Unterstützung er es realisieren wollte. Das Vorhaben von Pipo konnte mich inhaltlich direkt überzeugen, die angestrebte Programmierleistung jedoch schien ein enormes Ausmaß zu besitzen, was mich wie viele Programmierer, mit denen sich Pipo zuvor getroffen hatte, erst einmal zögerlich hatte reagieren lassen.

Da ich kein ausgebildeter Softwarespezialist bin, sondern mir das Programmieren (insbesondere die Programmierumgebung Max/Msp/Jitter) während meines Studiums an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee in Eigenleistung zur Umsetzung eigener multimedialer Projekte angeeignet hatte, war ich mir nicht sicher, ob ich dafür geeignet sein sollte. Wir verabschiedeten uns an diesem Abend mit der Einigung auf eine Gedenkzeit. Zwei Tage später sagte ich ihm ab. Zu groß war meine Sorge davor, in ein Projekt Zeit und Anstrengung zu investieren, das scheitern könnte, wie viele andere spartenübergreifende künstlerische Vorhaben, seien es technische Hürden oder persönliche Differenzen. Nach der ersten Absage konnte mich Pipo dann dennoch überreden, es erstmal mit einer Art gemeinsamer Probezeit zu versuchen.

Nach meiner theoretischen Diplomarbeit „Angst vor dem Systemabsturz. Computer, Musik und Performativität“ wollte ich in meiner Meisterschülerarbeit im Bereich digitale Medien an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee sowieso eine Arbeit mit bzw. für einen Tänzer entwickeln. Somit war für mich die Vorstellung verlockend, die nächste Zeit mit einer tänzerisch geschulten Person zusammenzuarbeiten, um so meine Instrumentenfamilie weiterzuentwickeln. Also fuhr ich für ein erstes konkretes Treffen nach Köln, wo wir ein paar Tage zusammen arbeiten und uns kennenlernen wollten.

Nachdem ich in diesen Tagen erste Softwarestrukturen entwickelt hatte, versuchte mir Pipo zu verdeutlichen worum es ihm ging, ich zu erklären worin mein Interesse bestand. Wir einigten uns darauf, dass ich die Programmierung der akustischen und musikalischen Elemente der Installation übernehmen sollte und den visuellen Part ein weiterer erfahrener Programmierer, der jedoch bei unserem nächsten Treffen nicht auftauchen sollte. Somit übernahm ich zu diesem Zeitpunkt auch den visuellen Part, da es für mich unmöglich war, musikalische Strukturen ohne sein visuelles Pendant zu generieren.

Wir hatten beide in dieser zweiten gemeinsamen Woche ein kleines Erfolgserlebnis. Mir war es gelungen einem interaktiven Schatten Leben einzuhauchen und Pipo konnte nach monatelangem Warten zum ersten Mal sein bisher nur auf dem Papier vorhandenen Konzept, wenn zwar noch sehr rudimentär, aber dennoch tänzerisch am eigenen Leibe erfahren. Nach diesem ersten Versuchsaufbau der Installation im Tanzhaus NRW waren wir beide optimistisch gemeinsam die Umsetzung realisieren zu können. Damit begann eine halbjährige Zusammenarbeit, wie ich sie mir kaum intensiver vorstellen kann.

Wir beide legen sehr unterschiedliche Handlungs- und Denkweisen an den Tag, welche uns im gemeinsamen Arbeitsprozess immer wieder zum Umdenken anregte, aber auch Unverständnis hervorbrachte. Kategorisch und vereinfachend lassen sich unsere beide Arbeitsweisen
mit Gegensätzlichkeiten benennen. Auf der einen Seite der Tänzer, auf der anderen Seite der Programmierer. Hier die Expressivität, da die Verinnerlichung. Hier die Bewegung auf der Bühne, dort das Verfassen von Regeln am Monitor. Diese unterschiedliche Herangehensweise löste bei uns von Anfang an immer wieder die gleiche Frage aus: Wie können wir zusammenarbeiten, um gemeinsam einen Prozess zu gestalten, der nicht nur aus zwei unabhängig erarbeiteten Teilen am Ende zusammengefügt wird? Es waren diese Gegensätze, die fruchtbar waren, wenn sie aufeinander stießen. Insbesondere am Anfang war das Unverständnis noch sehr groß.

Pipo kam direkt am zweiten Tag mit der Idee, er wolle etwas mit dem Computer umsetzen. Er wolle einige Bewegungen ausprobieren und der Computer soll diese auf eine spezifische Art analysieren und mit Klängen verbinden. Ich empfand den Vorschlag als gut und sagte, dass ich in diesem Sinne etwas programmieren werde. Das würde dann etwa zwei bis drei Tage dauern, dann könnten wir uns wieder treffen, um das Ganze auszuprobieren. Pipo war schockiert. Zwei bis drei Tage? So stellte er sich keine Zusammenarbeit vor. Ihm schwebten höchstens zwei oder drei Minuten Vorbereitung vor, ähnlich wie er es von einer Tanzprobe kannte. Mir und meinem digitalen Medium aber widersprach dieser Wunsch nach kurzfristigen Implementierungen. Das Programmieren ist eine Tätigkeit, die sich am besten in Ruhe und Konzentration ausführen lässt, es benötigt eine gänzlich andere räumliche und zeitliche Gegebenheit, als dies bei einer gemeinsamen Tanzprobe gegeben ist. Die Reaktionsbereitschaft auf eine Handlungsanweisung ist sehr träge.

In diesen beiden so gegensätzlichen Betrachtungs- und Handlungsweisen, Tanz und Programmierung, immer wieder Gemeinsamkeiten, Analogien und metaphorische Verknüpfungen zu finden war und ist in unserer gemeinsamen Arbeit der stärkste Antrieb. Dadurch konnten wir nach und nach auch Handlungsstrategien entwickeln, die uns durch kleine Versuchsanordnungen immer näher zu einer integrierten Zusammenarbeit brachten. Pipo brachte mir bei, auch mal Fehler im Code zu akzeptieren, ich konnte Pipo darin üben, manchmal in seinem ungestümen Drang nach einer direkten Erfahrung etwas mehr Geduld aufzubringen . . .

In der Mitte dieser Gegensätzlichkeiten kamen wir immer wieder bei einem Wunsch auf einen Nenner: Der Wunsch, dem trägen und störrischen digitalen Wesen, das sich einem immer wieder in seiner Gestaltung zu widersetzen versucht, ein kleines bisschen Expressivität abzuringen, um es zu einem sinnlichen Erlebnis zu machen, welches sich nicht alleine in der Kontemplation, sondern in der konkreten körperlichen Anteilnahme erfahren lässt.

Dies ist eine Momentaufnahme unserer langen Unterhaltungen und Annäherungen der gemeinsamen Arbeit. Es war für Ausgangspunkt dafür, mit ONE TWO THREE (133) , ein Feld weiterzuerforschen, welches in den kommenden Jahren eine gesteigerte gesellschaftliche Aufmerksamkeit benötigt, damit die Symbiose mit dem digitalen Medium zu einer dem Menschen in seiner Gänze dienlichen wird, vorab versinnbildlicht zwischen Programmierung und Tanz.

Insbesondere die Künste sind hier aufgefordert, neue inhaltliche Wege und sinnliche Erfahrungen zu bereiten, fernab seiner industriellen Verwertbarkeit.

Daniel Berwanger, Berlin, Juni 2010